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Lesung und Gespräch mit Yasmine Keles: Eine Befreiungsgeschichte

Am 13. September 2022 trafen wir uns zu einem ganz besonderen Anlass: Die für den Kurt-Marti-Literaturpreis nominierte Autorin Yasmine Keles erzählte aus ihrer Lebensgeschichte und las aus ihrem daraus entstandenen Buch “Und dann wurde ich endlich jung. Eine Befreiungsgeschichte”. Durch den Abend führte Olivia Röllin, die aus “Sternstunde Religion” bekannte SRF-Moderatorin.

Keles beschrieb anschaulich, wie sie im katholischen Wallis in einer Familie aufwuchs, die Mitglied der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas war. Wiederholt betonte sie, wie glücklich, unbeschwert und unproblematisch sie ihre Kindheit erlebte, in der sie eigentlich ständig zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten hin und her pendelte. Entgegen den Gepflogenheiten der Gemeinschaft, die meint, weltliche Bildung bringe die Menschen vom einzig wahren Glauben ab, durfte sie nach der Primarschule das Gymnasium besuchen. In diesem neuen, offenen Umfeld bekam sie erste Zweifel, die ihr die Augen für die anachronistische Enge ihres Glaubens öffneten. Als besonders schmerzhaft beschrieb sie die Erkenntnis, dass das von den Zeugen Jehovas propagierte Frauenbild, bei dem die Frau dem Mann völlig untertan ist, für sie inakzeptabel war.

Erschüttert wurde sie in ihrem Glauben besonders nach ihrem studienbedingten Umzug. Auf einer Weltreise, die sie zusammen mit ihrer Schwester unternahm, um sich eingehend mit der Bibel zu beschäftigen und sich ihrer Überzeugungen klar zu werden, musste sich Keles eingestehen, dass sie sich nicht mehr mit dem Glauben der Zeugen Jehovas identifizieren konnte und beschloss, aus der Gemeinschaft auszusteigen. Eine Entscheidung, die zwar von Angst vor Ausgrenzung durch Familie und Gemeinschaft begleitet war, die ihr aber ein Gefühl der totalen Befreiung verlieh. Mit einem Mal hatte sie Luft zum Denken, mehr Zeit für sich!

Auf die Frage, wieso sie das Buch erst 20 Jahre nach ihrem Ausstieg schrieb, erklärte Keles, dass es nicht zu einer Abrechnung mit ihrer Situation verkommen sollte. Diese Gefahr hätte durchaus bestanden, hätte sie es direkt nach ihrem Ausstieg geschrieben. Die Zeit half ihr, das Geschehene gründlich zu reflektieren und ihre Haltung dazu auf überlegte Art und Weise darzulegen.

Nach diesem sehr persönlichen, intensiven und berührenden Gespräch hatten wir Zeit, bei einem Flying Dinner entspannt das Gehörte zu diskutieren und den Abend mit angeregten Gesprächen ausklingen zu lassen.

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