Podiumsgespräch_515

Podiumsdiskussion: „Gender Medizin – one size does not fit all“

Eine geschlechtersensible Medizin tut Not, darüber sind sich alle Experten einig. Für unser Podiumsgespräch vom 8.11.2022 konnten wir hochkarätigen Expert:innen zuhören: Mag. Dr. Michael Penkler (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marktforschung und Methodik Wiener Neustadt) diskutierte mit Prof. Dr. med. Cathérine Gebhard (Oberärztin Klinik für Nuklearmedizin, Kardiovaskuläre Gender Medizin, Universitätsspital Zürich) unter der Leitung von Prof. Dr. med. Reto Stocker (Leiter Forschung, Lehre und med. Qualitätsprogramme, Klinik Hirslanden Zürich). Dabei erläuterten sie, welchen Einfluss Genetik, Erziehung und soziokulturelle Umstände auf den Menschen haben und wie geschlechtsspezifische Forschung und Medizin allen Gruppen zugutekommt.

Anhand von Beispielen wie dem vermeintlich typisch männlichen Herzinfarkt (Frauen sterben tatsächlich wegen Unterversorgung häufiger daran) oder den für die Fahrzeugsicherheit entwickelten – männlichen – Testdummies wird aufgezeigt, dass ein Universalkonzept für medizinische Richtlinien und Technologien, das mit männlichen Normkörpern arbeitet, längst nicht mehr sinnvoll ist.

Historisch ist dieser Normkörper männlich, weiss, nicht behindert und mittleren Alters. Frauen im gebärfähigen Alter werden grundsätzlich von Studien ausgeschlossen. Ausserdem werden Studien meist von Männern geleitet und Geschlechterunterschiede marginalisiert. Wird (Grundlagen)Forschung aber anhand solcher Standards durchgeführt, mündet sie in verzerrten Daten und damit in unausgewogenen Interventionen und Technologien. Für Frauen gibt es deshalb beispielsweise ein Überdosierungsrisiko, sie werden weniger häufig intensivmedizinisch behandelt, und wenn, dann gibt es eher Komplikationen, weil die Technologie nicht an den kleineren Körper und seine Organe angepasst wird.

Neben den offensichtlichen körperlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern spielen aber auch kulturell und sozial bedingte Verhaltensweisen – die sog. Gender Dimension – eine wichtige Rolle. So nehmen beispielsweise Frauen und Männer Symptome unterschiedlich wahr, erleben Schmerzen anders oder kommunizieren über ihren Gesundheitszustand ausführlicher.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen auch, dass Gehirne plastisch sind und nicht zuletzt durch Umwelteinflüsse und Erfahrungen geformt werden. Dasselbe gilt für die Epigenetik: Man weiss heute, dass Umwelteinflüsse die Auslesung von Genen beeinflussen können. Bei Forschung, Behandlung und Interventionen müssen also das biologische (sex) wie auch das soziale (gender) Geschlecht zwingend berücksichtigt werden, denn beide beeinflussen unsere Körpersysteme.

Unter Einbezug des Publikums wurden Themen diskutiert wie Ethik, die Berücksichtigung von gender-seeking Menschen oder auch Regelungen und Aufklärungskampagnen auf staatlicher Ebene und eine Feminisierung der Medizin und wie dies gelingen kann.

Das Thema hat definitiv aufgerüttelt und bewegt; am anschliessenden Flying Dinner wurde ausgiebig weiter diskutiert – à suivre!

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